Medizinisches Wörterbuch: Alkohol
Jahrtausendelang waren alkoholische Getränke das tägliche Hauptgetränk des Menschen. Bier und Wein waren wegen ihres Gehaltes an Alkohol und organischen Säuren frei von gefährlichen Krankheitserregern. Da über lange Zeit nur schwer sauberes Trinkwasser zu gewinnen war, dienten sie nicht nur als Durstlöscher, sondern oft auch als Nahrungs- und Desinfektionsmittel. Noch heute ist Alkohol in unserem Kulturkreis eine sozial anerkannte Droge. Alkoholisches wird fast zu jedem denkbaren Anlass getrunken.
Die Wirkung von Alkohol hängt dabei von der konsumierten Menge ab: In geringen Mengen (0,2 Liter Bier, 0,1 Liter Wein) wirkt er anregend, bei höherer Dosierung wirkt er dämpfend auf das Zentrale Nervensystem.
Diese Beruhigung entspricht aber nicht zwangsläufig dem, was der Trinkende stimmungsmässig bei sich feststellt. Denn Alkohol macht nicht direkt lustig. Erst nach dem Abbau von Hemmungen wirkt Alkohol stimmungsverbessernd.
Viele trinken aus Lebensfreude oder um diese zu steigern. Aber alles, was angenehme Gefühle hervorruft oder schlechte vermindert, birgt die Gefahr des Missbrauchs in sich. Der übermässige Genuss von Alkohol führt bei Vielen zur Abhängigkeit.
Eine Alkoholabhängigkeit wird allmählich erworben (gelernt) und hinterlässt im Gehirn dauerhafte chemische Spuren. Durch Alkohol wird das Belohnungszentrum im Gehirn angesprochen. Diese Wirkung wollen Alkoholabhängige immer wieder erreichen, vor allem wenn Probleme und Konflikte dadurch überlagert werden können. Es wird immer wieder getrunken - das Trinken wird stabilisiert. (Prinzip der Sucht).
Der Prozess der schleichenden Alkoholabhängigkeit kann in folgende 4 Phasen eingeteilt werden:
Die voralkoholische symptomatische Phase
Der Griff zum Alkohol, um dann besser mit Problemen umgehen zu können. Es besteht eine psychische Abhängigkeit vom Alkohol, in der das Trinken noch kontrolliert werden kann. (Erleichterungstrinken)
Im Laufe eines halben Jahres bis zu zwei Jahren fällt die Toleranz für seelische Belastungen in einem solchen Masse ab, dass er praktisch täglich Zuflucht zu alkoholischen Getränken nimmt.
Nach einer gewissen Zeit kann eine Erhöhung der Alkoholtoleranz festgestellt werden. Das heisst, es wird eine grössere Menge Alkohol als früher benötigt, um die gewünschte Beruhigung zu erreichen.
Die Vorläufer-Phase (prodomale Phase)
Es sind schon einige Anzeichen alkoholabhängigen Verhaltens vorhanden.
Die prodomale Phase wird eingeleitet durch plötzlich auftretende Erinnerungslücken (Amnesien). Diese Gedächtnislücken können auftauchen ohne Anzeichen von Trunkenheit.
Bier, Wein und Spirituosen beginnen jetzt praktisch aufzuhören Getränke zu sein, sondern werden vielmehr eine "Medizin", die der Trinker braucht.
Das dauernde Denken an Alkohol ist ein weiterer Beweis für seinen Bedarf. Wegen der vermehrten Alkoholabhängigkeit kommt es zum "gierige Trinken", dem Herunterkippen des ersten oder der ersten beiden Gläser. Der Betroffenen merkt nun deutlich, dass mit seinem Trinkverhalten etwas nicht stimmt.
Die prodomale Phase der Sucht kann von sechs Monaten bis zu vier oder fünf Jahren dauern. Danach beginnt die kritische Phase mit dem Einsetzen des Kontrollverlustes. Noch gibt es aber die Möglichkeit, die unmittelbar bevorstehende körperliche Abhängigkeit abzuwenden.
Die kritische Phase
Ab hier beginnt die Alkoholsucht. Das Denken an Alkohol und das Trinken von Alkohol nimmt grossen Raum im Leben ein. Es besteht eine körperliche Abhängigkeit. Der Süchtige hat nicht mehr die Wahl, trinken zu wollen oder nicht. Er muss trinken.
Es findet ein Kotrollverlust statt. Bereits nach einer kleinen Menge Alkohol entsteht im Körper ein Verlangen nach "mehr". Dieses Verlangen hält solange an, bis der Trinker zu betrunken oder zu krank ist für eine weitere Alkoholaufnahme. Gewissensbisse, Unwillen, Kampf zwischen Sucht und Pflichten, Selbstwertverlust, Zweifel und falsche Ermutigung haben den Kranken so weit zerrüttet, dass er den Tag nicht mehr ohne Alkohol kurz nach dem Aufstehen oder schon vorher beginnen kann. Es kommt zum "regelmässigen morgendlichen Trinken".
Die chronische Phase
Die chronische Phase, die von ausgedehnten Rauschzuständen gekennzeichnet ist, ist die letzte Phase einer schweren chronischen Alkoholabhängigkeit.
Die alles beherrschende Rolle des Alkohols und das Verlangen ("Craving") nach morgendliches Trinken brechen schliesslich jeden Widerstand des Süchtigen. Er ist tagsüber und mitten in der Woche schwer betrunken. In diesem Stadium verharrt er einige Tage, bis er völlig unfähig ist, irgendetwas zu unternehmen. Ein Teil der Kranken zeigt als Folge das Phänomen des gespaltenen Menschen.
Die Persönlichkeit wandelt sich. Das Phänomen der Spaltung tritt besonders deutlich in den Alkoholpsychosen hervor und ist vielfach an Sinnestäuschungen gebunden (Hören von Stimmen und visuelle Täuschungen). Diese Krankheitsform wird als "Alkoholdelirium" oder auch als "Prädelir" bezeichnet. Die schwerste und lebensbedrohliche Form ist das "Delirium tremens", das bei plötzlichem Alkoholentzug auftreten kann. In 20 % der Fälle endet das Delirium tremens tödlich.
Die medizinischen Folgen eines chronischen Alkoholmissbrauchs sind verheerend:
Wenn Alkohol in den Körper gelangt, erreicht er fast jede Zelle. Er wirkt als Zellgift und für seine Beseitigung aus dem Körper wird ein hoher Anteil der Körperenergie verbraucht.
Wird Alkohol im Körper verbrannt, entstehen in der Leber hochgiftige Abbauprodukte, die Nervenzellen und andere Körpergewebe schädigen. Alkoholmissbrauch führt zu chronischen Entzündungen der Speiseröhre, des Magens und der Zwölffingerdarmschleimhaut. Dies äussert sich in Sodbrennen, Völlegefühl, Übelkeit und Erbrechen.
Chronischer Alkoholgenuss verändert die Magen- und Darmflora und begünstigt so das Auftreten von Geschwüren und die Entwicklung von Krebs. Diese Schädigung der Darmschleimhaut macht sich durch Bauchschmerzen, Durchfälle und Blutabgänge mit dem Stuhlgang bemerkbar. Ausserdem wird das Immunsystem stark angegriffen.
Alkohol verändert zudem die Zusammensetzung des Blutes. Er verringert die Zahl der roten Blutkörperchen, der Blutplättchen und wichtiger Gerinnungsfaktoren und kann somit zum auftreten lebensgefährlicher Blutungen führen. Er schädigt den Herzmuskel und bewirkt langfristig einen Anstieg des Blutdrucks.
Die schlimmste Wirkung entfaltet der Alkohol am Gehirn. Der Untergang von Nervenzellen führt zu einem schleichenden Nachlassen der Konzentrations- und Gedächtnisfähigkeit.
Wesensveränderungen mit Abstumpfen der Gefühle, Depressionen und Kritikminderung bis hin zur körperlichen Verwahrlosung sind typisch. Bei fortschreitender körperlicher Abhängigkeit treten während des Alkoholentzugs Krampfanfälle und das sogenannte Delirium tremens (völlige geistige Verwirrtheit, optische und akustische Sinnestäuschungen Wahnvorstellungen) auf. Die Reihe der geschädigten Organe ist lang.
Insgesamt führt die Alkoholkrankheit zum sozialen Abstieg und zu einer deutlichen Verkürzung der Lebenserwartung.